Bon Appétit!

01.11.2024

Galerie Stihl in Waiblingen zelebriert das Essen in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts

Schöne Schalen mit leuchtendem Obst, erlegtes Wild in schimmerndem Fell, edle Kristallgläser und funkelnder Wein: Als ausgesprochen pittoreskes und erstaunlich komplexes Motiv wird die Mahlzeit und alles, was dazu gehört, von der Kunst schon seit langem gefeiert. Doch als wichtiger Bestandteil im Kreislauf des Lebens haftet ihr nicht nur Genuss, Freude und Geselligkeit, sondern auch Vergänglichkeit und Tod an. Vor allem in den niederländischen Stillleben der Barockzeit, in denen die Grenze zwischen voller Reife und beginnendem Verderben, von Vanitas-Symbolen wie Kerzen oder Totenschädeln, untermalt wird.

Doch dann avanciert das Essen in der Kunst im 20. und 21. Jahrhundert auch zum Medium. Also zum künstlerischen Material, was ab Dezember in der gleichnamigen Schau in der Galerie Stihl in Waiblingen als Fest für die Augen erlebbar werden soll.

Lichtgestalt aller zeitgenössischen Essens-Künstler ist zweifellos Daniel Spoerri (*1930), der diesen Wandel mit seinen provokanten Fallenbildern vollzieht und damit die sogenannte Eat Art ins Leben ruft: Anfang der 1960er-Jahre lädt er Freunde zum Dinner ein, fixiert die Reste des Mahls, also dreckige Teller, Gläser und Tassen in genialer Unverfrorenheit auf der Tischplatte und hängt das ganze als Relief an die Wand. Später geraten auch andere, der Kulinarik dienende Gegenstände in seine Kunst.

Ein Gleichgesinnter ist Dieter Roth (1930-1998), der sein Atelier in eine künstlerische Versuchsküche verwandelt und zum Beispiel Literaturwurst aus geschredderten Klassikern, Fett und Gewürzen fabriziert – oder "Schokoladenhasen" mit fragwürdiger Konsistenz.

Einen anderen Ansatz verfolgt Andy Warhol (1928-1987), der 1961 den Konsum von Fertigprodukten in Form von Siebdrucken und Objekten versinnbildlicht und in Waiblingen mit seiner Campbell Soup Dose und einem selbst gestalteten, parodistischen Kochbuch vertreten ist. Oder Martha Rosler (*1943), die ihren Videos aus den 1970er Jahren gängige Hausfrauenklischees zerkleinert.

Bis heute hat die Thematik nichts von ihrer Faszination verloren, zum Beispiel für Katharina Fritsch (*1956), die sich dem Stillleben skulptural annähert oder für Marion Eichmann (*1974), die eine schrille Lebensmittel-Werbung von Netto in bewährter Cut-Out-Technik vorführt. Auch an den gemalten Tafeln der französischen Künstlerin Johanna Dumet (*1991) geht es bunt zu. Da wird festlich gespeist und Champagner getrunken, doch die fröhliche Dekadenz – samt teurer Modelabels und Parfums – verheißt nichts Gutes. Der Gegensatz zu dem Obst in Plastikschalen, das die Fotografin Lia Darjes (*1984) in Kaliningrad von Rentnern am Straßenrand gekauft und zu nachdenklichen Kompositionen verfugt hat, könnte nicht größer sein.

Dem traditionellen Stillleben am nächsten kommt die Fotografin Vera Mercer (*1936), die mit Spoerri verheiratet war und heute für ihre opulenten Tableaus bekannt ist.

kunst:art Nr. 100 Nov/Dez 2024