Kunst aus frostigen Regionen
Ewiges Eis im Museum Sinclair-Haus, Bad Homburg
Es wird "kalt" im Museum Sinclair-Haus. Denn in der Bad Homburger Stiftung Kunst und Natur breitet sich im Winterhalbjahr Ewiges Eis aus. Doch keine Angst, in der gleichnamigen Ausstellung muss niemand frieren: Die Begegnung mit arktischen Zonen und kalbenden Gletschern läuft dank einer Vielfalt von künstlerischen Positionen und naturhistorischen Exponaten rein visuell ab.
Allerdings lassen einen die Aussichten in Bezug auf das stetige Schmelzen der Polarkappen durchaus frösteln. Und natürlich ist es so, dass die gegenwärtige Auseinandersetzung mit den Eisregionen der Welt an Fragen des Klimawandels geknüpft ist.
Die hochkarätigen Arbeiten sind fast alle in klirrend kalten Gefilden entstanden. Da gibt es zum Beispiel Werke aus dem Umkreis indigener Kulturen, wie die der Sami-Künstlerin Britta Marakatt-Labba oder die des zu den Inuit zählenden Fotografen Brian Adams.
Um die Belange der Heimat im Hinblick auf ein drohendes Ungleichgewicht - mit
schwindendem Permafrost auf der einen und steigendem Meeresspiegel auf der anderen Seite - geht es Kathy Jetñil-Kijiner aus Grönland und Aka Niviâna von den Marshall-Inseln. Dagegen setzt sich der vom sibirischen Baikalsee stammende und heute in Frankfurt lebende Künstler Ivan Murzin aus der Distanz mit den eigenen Wurzeln auseinander.
Viele Kunstschaffende nähern sich dem Thema auf Expeditionen und Forschungsreisen, bei denen sie oft in engem Austausch mit Wissenschaftlern stehen. Gleich mehrere befassen sich mit der Ambivalenz von Schönheit und Verlust bezüglich der weltweiten Eismassen, wie der gebürtige Isländer Olafur Eliasson, der in sein Ursprungsland zurückkehrte, um dort die Entwicklung der Gletscherschmelze nachzuvollziehen. Auch der Franzose Julian Charrière war vor Island unterwegs und entschied sich dort für eine Performance auf einem Eisberg, während die Finnin Tiina Itkonen sowie der deutsche Fotograf Olaf Otto Becker auf Grönland vom Ilulissat-Fjord Aufnahmen machten.
Spitzbergen stand im Fokus einer Archivarbeit von Tyrone Martinsson aus Göteborg, einer Fotodokumentation wissenschaftlicher Einrichtungen von Nathalie Grenzhaeuser aus Berlin und einer Videoarbeit von Susann Schuppli aus England.
In gleich beide Polarzonen zog es die in Düsseldorf geborene Künstlerin Mariele Neudecker, die ihre Eindrücke in einer Installation verarbeitete, während Ignacio Acosta den Abbau von Rohstoffen in den Anden seiner chilenischen Heimat kritisch visualisierte. In Mitteleuropa fing schließlich Thomas Wrede aus Münster den vergeblichen Versuch der Verhüllung von Gletschern in der Schweiz mit der Kamera ein.
Abgerundet wird die Präsentation im Museum Sinclair-Haus durch einen digitalen Zeitstrahl, der am Beispiel der Rhein-Main-Ebene bis in das letzte Glazial vor 20.000 Jahren zurückreicht, sowie einen dazugehörigen Mammutzahn. Und durch zwei Beiträge zum Thema Schneekristalle von den amerikanischen Geschwistern Doug und Mike Starn und dem Österreicher Wilhelm Scherübl. Dort kommt die ästhetische Dimension des "ewigen Eises" auf besonders zarte Weise zum Ausdruck.
kunst:art Nr. 87 / Sept-Okt 2022