Zwischen Schrecken und Freiheit

01.11.2022

Mit "Becoming CoBrA" zeichnet die Kunsthalle Mannheim die Ursprünge und Entwicklung der Avantgarde-Bewegung nach

Sie war legendär und ist aus der Kunst des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken: Die Künstlergruppe CoBrA, die 1948 ins Leben gerufen und 1951 schon wieder aufgelöst wurde. Sie fand experimentelle Antworten auf die lang nachwirkenden Folgen des Krieges, verstand es nordische Volkskunst und Mythologie mit Internationalität zu verbinden und schwamm gegen die Abstraktionsdoktrin der Nachkriegsmoderne an. Tod und Trauma begegnete sie mit Arbeiten, die sich an Kinderzeichnungen und Art Brut, an innerer Unschuld und Freiheit orientierten.

Jetzt spürt die Kunsthalle Mannheim in einer großen Ausstellung den Anfängen der Bewegung in Dänemark, Belgien und Holland nach. Denn die Gründungsmitglieder Jorn, Dotremont, Corneille, Appel und Constant kamen aus Kopenhagen, Brüssel sowie Amsterdam und verschmolzen die drei Städtenamen kurzerhand zu "CoBrA".

Es war tatsächlich ein Phänomen, dass sich nicht nur einzelne Akteure, sondern ganze Kollektive hier zusammenfanden. Wie die dänische Gruppe Høst und die Experimentele Groep Nederland, deren Teilnehmer schon in den 1930er und -40er Jahren durchaus verwandten Ansätzen folgten, während des Krieges partiell im Untergrund agierten und erst sukzessiv voneinander erfuhren.

Und es ist ein Novum, dass diese erstaunlich kongruente Entwicklung anhand konkreter Werke aufgerollt wird, die vor der Gründung 1948 entstanden sind.

Es habe sie und ihre Co-Kuratoren Christina Bergemann und Mathias Listl gereizt, diese Forschungslücke mit Becoming CoBrA - so der Titel der Ausstellung - zu schließen, sagt Inge Herold, stellvertretende Direktorin der Mannheimer Kunsthalle. Gerade weil es im Hinblick auf die Bewegung auch in der Sammlung des Museums eine Lücke gebe und somit vor Ort zum ersten Mal eine theoretische Auseinandersetzung mit der Gruppierung stattfinde.

Im Gegensatz zu Cobra mache die wenig später erfolgreiche Richtung des deutschen Informel einen Schwerpunkt in der Sammlung aus. Sie werde parallel zur Sonderausstellung im Neubau präsentiert und inhaltlich zu der internationalen Vereinigung in Bezug gesetzt. Außerdem sei die Frage, wie Künstlerinnen und Künstler auf verheerende politische Konflikte reagierten und sich über Landesgrenzen hinweg miteinander vernetzten, angesichts der aktuellen Ereignisse immer relevanter geworden.

Dementsprechend gespannt darf man auf diese Ausstellung sein, deren Rundgang sich an den Hauptaktionsorten orientiert, aber viele Einzelthemen aufscheinen lässt: wie beispielsweise den Einfluss außereuropäischer Kulturen, die progressive Auflösung bestimmter Gattungsgrenzen oder die Rolle von Künstlerinnen innerhalb Cobras. Einer außergewöhnlichen Gemeinschaft, die bald nach ihrer Gründung auch Zugänge aus Frankreich, England, Schweden, Tschechien und Deutschland erhielt. 

kunst:art Nr. 88 / Nov-Dez 2022